[Letzte Änderung: 11. März 2024]
(Dieser Abschnitt ist in Arbeit)
Wie die meisten medizinischen Wirkstoffe hat ein COVID-19-Impfstoff auch unerwünschte Nebenwirkungen. Im Februar 2024 erschien der Bericht zu einer groß angelegten Studie über die Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen, bei der über 99 Millionen geimpfte Personen berücksichtigt wurden.
K. Faksova et. al: COVID-19 vaccines and adverse events of special interest: A multinational Global Vaccine Data Network (GVDN) cohort study of 99 million vaccinated individuals. In: Vaccine, https://doi.org/10.1016/j.vaccine.2024.01.100
Diese Veröffentlichung wird im Folgenden als Faksova (2024) bezeichnet.
In der monatlichen Rubrik Unstatistik des Monats setzte sich Thomas K. Bauer im Februar 2024 unter dem Titel Statistisches Phänomen: Signifikante Nebenwirkungen von Corona-Impfungen wohl seltener als in Studie ermittelt kritisch mit der statistischen Auswertung in Faksova (2024) auseinander. Diese kritische Stellungnahme wird im Folgenden als Bauer (2024) bezeichnet.
[Letzte Änderung: 28. November 2021]
1. Die Wirksamkeit eines COVID-19-Impfstoffs von 75% bedeutet, dass 75% der geimpften Personen gegen eine COVID-19-Erkrankung geschützt sind und dass 25% der geimpften Personen nicht geschützt sind.
2. Die Wirksamkeit eines COVID-19-Impfstoffs von 75% bedeutet, dass geimpfte Personen mit 75% Wahrscheinlichkeit gegen eine COVID-19-Erkrankung geschützt und mit 25% Wahrscheinlichkeit nicht geschützt sind.
3. In fachwissenschaftlicher Terminologie ist die Wirksamkeit von 75% eine relative Risikoreduktion von 75%.
4. Die Wirksamkeit eines COVID-19-Impfstoffs von 75% bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu erkranken, für die geimpften Personen um 75% niedriger ist als für die nicht geimpften Personen.
Die Angabe der Wirksamkeit bezieht sich auf einen Zeitpunkt wenige Wochen nach der vollständigen Impfung. Mit zunehmendem Abstand von der Impfung ist mit nachlassender Wirksamkeit zu rechnen.
Eine erfolgreiche Wirkung kann unterschiedlich definiert sein als Wirksamkeit gegen
Die sich ergebenden Wirksamkeiten können sehr unterschiedliche Größe haben, beispielsweise kann die Wirksamkeit einer Impfung gegen eine Infektion 30% sei, aber zugleich die Wirksamkeit gegen eine sehr schwere Erkrankung über 90% liegen. Die häufigsten Wirksamkeitsangabe beziehen sich auf die Wirksamkeit gegen eine symptomatische Erkrankung oder gegen eine Krankenhausbehandlung.
Die Impfwirksamkeit ist typischerweise altersabhängig und nimmt mit zunehmendem Alter ab.
Die Wirksamkeit eines Impfstoffs kann sich für unterschiedliche Virusvarianten unterscheiden.
Die Wirksamkeit kann nicht einfach "berechnet" oder "bestimmt" werden, sondern wird in empirischen Untersuchungen (Studien) mit statistischen Verfahren geschätzt.
Schätzung der Wirksamkeit in Studien
Es werden Studien mit einem bestimmten Impfstoff durchgeführt, bei denen für eine Gruppe geimpfter Personen und eine Kontrollgruppe nicht geimpfter Personen die Häufigkeiten der an COVID-19 symptomatisch Erkrankten bestimmt und daraus die Wirksamkeit geschätzt wird.
Um aus Studien die Wirksamkeit zu schätzen, wird der Zusammenhang
(1) w = (p0 - p1) / p0
zwischen der Wirksamkeit w, der Erkrankungswahrscheinlichkeit p0 der Ungeimpften und der Erkrankungswahrscheinlichkeit p1 der Geimpften genutzt (für weitergehende Erläuterungen
siehe Was ist die Wirksamkeit eines COVID-19-Impfstoffs?). Dazu werden die Wahrscheinlichkeiten p0 und p1 durch Schätzwerte ersetzt. Es resultiert dann die durch eine Studie geschätzte Wirksamkeit
(2) w* = (r0 - r1)
/ r0 ,
wobei r0 und r1 die in der Studie beobachteten relativen Häufigkeiten der Erkrankten unter den nicht
geimpften Personen und den geimpften Personen sind.
Regelmäßig werden in den veröffentlichten Studien auch Unsicherheitsbereiche ergänzend zu einem Schätzwert für die Wirksamkeit angegeben. Dies kann durch ein Konfidenzintervall (engl. confidence interval) im Sinn der klassischen statistischen Inferenzmethodik oder durch ein Glaubwürdigkeitsinterval (engl. credible interval) im Sinn der bayesianischen statistischen Inferenzmethodik erfolgen. Leider gehen diese Unsicherheitsbereiche in der öffentlichen Diskussion häufig verloren.
Neben der direkten Schätzung von Wahrscheinlichkeiten durch relative Häufigkeiten gibt es auch modellgestützte Techniken, die den zeitlichen Ablauf, weitere erklärende Variablen, wie das Alter, oder einen komplizierteren Versuchsplan, wie geschichtete Stichproben, bei der Schätzung berücksichtigen.
Terminologische Konfusion
Terminologische Konfusion entsteht, wenn das durch Gleichung (1) beschriebene Konzept der theoretischen Wirksamkeit nicht von dem durch Gleichung (2) beschriebenen Konzept der in einer Studie geschätzten Wirksamkeit unterschieden wird.
Beispielhaft für diese Konfusion sind die deutschsprachigen Wikipedia-Artikel "Relatives Risiko", "Relative und absolute Risikoreduktion", "Attributables Risiko" und "Impfstoffwirksamkeit" mit einer Vermischung und Verwechselung von Wahrscheinlichkeiten und relativen Häufigkeiten und ohne Trennung von theoretischen Konzepten und Schätzwerten. Diese Artikel sind auch nicht einfach korrigierbar, da sie schon konzeptionell von der vorwissenschaftlichen Vorstellung ausgehen, dass Wahrscheinlichkeiten durch relative Häufigkeiten "berechnet" werden und es daher wohl nur als sprachliche Petitesse aufgefasst wird, ob ein Risikoverhältnis der Quotient von zwei Wahrscheinlichkeiten oder der Quotient von zwei relativen Häufigkeiten ist. Etwas besser sind die englischsprachigen Wikipedia-Artikel "Relative risk" und "Risk difference", die immerhin von "estimated" und "point estimate" sprechen, aber offenlassen, was eigentlich geschätzt wird. Dagegen haben die Artikel "Relative risk reduction" und "Vaccine efficacy" die oben angesprochene terminologische Unschärfe
In der FAQ-Liste zur Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen des Robert Koch-Instituts heißt es (Stand 2021):
"Nach derzeitigem Kenntnisstand bieten die COVID-19-mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) sowie der Vektor-Impfstoff Vaxzevria (AstraZeneca) eine hohe Wirksamkeit von etwa 90% gegen eine schwere COVID-19-Erkrankung (z. B. Behandlung im Krankenhaus) und eine Wirksamkeit von etwa 75% gegen eine symptomatische SARS-CoV-2-Infektion mit Delta."
Früher angegebene geschätzte Wirksamkeiten bezogen sich in der Regel auf Zulassungsstudien aus einer Zeit, in der noch der so genannte Wildtyp des SARS-CoV2-Virus dominierend war. Dagegen dominierten in der dritten Welle die Alpha-Variante und in der vierten Welle dominiert die Delta-Variante.
Die Wirksamkeit der bisherigen Impfstoffe ist gegen die Omikron-Variante niedriger als gegen die Delta-Variante. Siehe dazu die Beantwortung der Frage "Wie wirksam sind die COVID-19-Impfstoffe? in der FAQ-Liste zur Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen des Robert Koch-Instituts.
[Letzte Änderung: 3. November 2021]
Unter der Effektivität eines Impfstoffes versteht man die Wirksamkeit des Impfstoffes unter Anwendungsbedingungen. Während die Wirksamkeit (engl. efficacy) in kontrollierten Studien, meistens Zulassungsstudien, ermittelt wird, bezeichnet die Effektivität (engl. effectiveness) die Wirksamkeit des Impfstoffes bei breiter Anwendung (engl. in the field). Unterschiede können sich aus verschiedenen Gründen ergeben, z. B. weil die Personen in der Zulassungsstudie eine bestimmte Altersstruktur hatten oder weil in der Zulassungsstudie alle Impfungen unter optimalen Bedingungen stattfanden, während in der Anwendung auch operative Risiken durch Transport, Lagerung, Impfstoffbehandlung und Verimpfung eine Rolle spielen können.
Während die Wirksamkeit (engl. efficacy) in kontrollierten Studien ermittelt wird, muss die Effektivität (engl. effectiveness) in der Phase der breiten Anwendung ermittelt werden, woraus sich erhebliche Unterschiede ergeben.
Während sich bei einer Zulassungsstudie die Gruppen der Geimpften und der Ungeimpften wesentlich dadurch unterscheiden, dass eine Gruppe den Impfstoff und die Kontrollgruppe ein Placebo bekam, können sich in der Anwendungsphase die Gruppen der Geimpften und der Ungeimpften erheblich unterscheiden. Dies sind beispielsweise Unterschiede in der Alterszusammensetzung, die berücksichtigt werden können, indem die Effektivität getrennt für verschiedene Altersklassen berechnet wird. Gravierender im Zusammenhang mit COVID-19 ist, dass sich die unter den Ungeimpften befindlichen Impfgegner und Gegner von Corona-Maßnahmen in ihrem Verhalten erheblich unterscheiden, so dass eine höhere Infektionsquote der Ungeimpften im Vergleich zur Gruppe der Geimpften teils auf die fehlende Impfung und teils auf das unterschiedliche Verhalten zurückgeht.
Die Wirksamkeit kann in der Form
w = 1 - p1 / p0
dargestellt werden, wobei p1 die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Geimpften und p0 die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Ungeimpften ist (für weitergehende Erläuterungen siehe Was ist die Wirksamkeit eines COVID-19-Impfstoffs?). UmformungenAnmerkung 1 mit Hilfe bedingter Wahrscheinlichkeiten führen zu der Darstellung
(1) w = 1 - (q1 / q0) · (Q0 / Q1).
Dabei ist q 1 die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erkrankter geimpft ist, q0 die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erkrankter ungeimpft ist, Q1 die Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig ausgewählte Person geimpft ist, d. h. der Anteil der Geimpften in der betrachteten Grundgesamtheit, und Q0 die Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig ausgewählte Person ungeimpft ist, d. h. der Anteil der Ungeimpften in der betrachteten Grundgesamtheit. Diese Formel kann verwendet werden, um w aus den Daten von zwei verschiedenen Quellen zu schätzen, wobei q1 und q0 aus einer Datenquelle mit Erkrankten und Q0 und Q1 aus einer anderen Datenquelle zu den Impfquoten geschätzt wird. Einen Schätzwert für die Wirksamkeit erhält man, wenn die Wahrscheinlichkeiten q1, q0, Q0 und Q1 durch entsprechende relative Häufigkeiten ersetzt werden.
Es gilt nicht notwendig q1 + q0 = 1 und Q0 + Q1 = 1, da auch der Fall möglich ist, dass bei einem Teil der Erkrankten oder einem Teil der Grundgesamtheit der Impfstatus unbekannt ist, nicht ermittelt werden kann oder die Impfung noch nicht vollständig ist. In einem solchen Fall würde die Verwendung der Formel
(2) w = 1 - (q1 / (1 - q1)) · ((1 - Q1) / Q1) ,
die sich in der Literatur findet[1, S. 742, Formel (1) ] und die sich aus (1) für q1 + q0 = 1 und Q0 + Q1 = 1 ergibt, zu erheblichen Verzerrungen führen, da der Nenner im ersten Bruch systematisch unterschätzt und der Zähler im zweiten Bruch systematisch überschätzt würde.
Wird dagegen die Wirksamkeit für eine Teilgruppe bestimmt, in der jede Personen entweder geimpft oder ungeimpft ist, so kann Formel (2) sinngemäß auf diese Teilgruppe angewendet werden.Anmerkung 2 Dabei wird jeweils eine geeignete Teilgruppe gebildet, indem nur die vollständig Geimpften und diejenigen berücksichtigt werden, bei denen bekannt ist, dass diese ungeimpft sind.
Dieser Ansatz wurde vom RKI verwendet, um in seinen Wochenberichten[2] die Impfeffektivität gegen "symptomatische Infektion", "COVID-19-assoziierte Hospitalisierung", "Behandlung auf einer Intensivstation" und "Tod" für die drei Altersgruppen "0-17", "18-, 59" und "60 Jahre und mehr" zu schätzen. Seit Juli 2022 wird die Impfeffektivität nicht mehr in den Wochenberichten, sondern in den Monatsberichten des "Monitoring des COVID-19-Impfgeschehens in Deutschland" dargestellt.
Quellen
[1] J. P. Farrington: Estimation of vaccine effectiveness using the sreening method, International Journal of Epidemiology 22 (1993), 742-746.
[2] Wochenberichte des RKI [erscheinen wöchentlich donnerstags]
Anmerkungen
1. Für die Ereignisse K = "erkrankt", G = "geimpft", U = "ungeimpft" gilt
p1 = P(K | G) = P(G | K) · P(K) / P(G),
p0 = P(K | U) = P(U | K) · P(K) / P(U)
und daher
p1 / p0 = (P(G | K) / P(U | K) ) · (P(U) / P(G)) = (q1 / q0) · (Q0 / Q1)
für q1 = P(G | K), q0 = P(U | K), Q0 = P(U) und Q1 = P(G).
2. Ergänzend zu den Bezeichnungen aus Anmerkung 1 bezeichne T die Zugehörigkeit zu einer Teilpopulation, in der jede Person entweder geimpft oder ungeimpft ist. Mit den Bezeichnungen GT = G ∩ T, UT = U ∩ T und KT = K ∩ T gilt dann
P(K | GT) = P(K ∩ GT) / P(GT) = P(G | KT) · P(KT) / P(GT),
P(K | UT) = P(K ∩ UT) / P(UT) = P(U | KT) · P(KT) / P(UT),
und daher
P(K | GT) / P(K | UT) = (P(G | KT) / P(U | KT) ) · (P(UT) / P(GT))
= (P(G | KT) / (1 - P(G | KT) ) ) · ((1 - P(GT) / P(GT)) .