Vorbemerkung: Der folgende Text entstand im Februar 2015. Inzwischen hat sich die Gruppe "Durchgezählt" gefestigt, die unter wissenschaftlicher Begleitung regelmäßig die Demonstrationszahlen in Dresden und Leipzig erfasst.

 

Schätzung von Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen wirft Fragen auf

 

1. Einige Demonstrationen in Zusammenhang mit Pegida und Legida

a) Dresdner-Pegida-Demonstration am 22. Dezember 2014

Nach offiziellen Angaben haben sich 17.500 Teilnehmer auf dem Theaterplatz vor der Semperoper befunden.

b) Kundgebung für Weltoffenheit in Dresden am 10. Januar 2015

Die Kundgebung auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche hatte nach offiziellen Angaben 35.000 Teilnehmer.

c) Dresdner-Pegida-Demonstration am 12. Januar 2015

faz.net, 19.01.2015: Forscher bezweifeln Teilnehmerzahlen an Pegida-Demonstrationen. Zählungen ergeben 18.000 Teilnehmer im Vergleich zu 25.000 offiziell angegebenen Teilnehmern.

d) Leipziger Legida-Demonstration am 21. Januar 2015

Das Institut für Soziologie der Universität Leipzig hat zusammen mit dem Fachschaftsrat Soziologie der Universität Leipzig nach drei verschiedenen Methoden (Fotomethode, Klickermethode, Videomethode) die Teilnehmer gezählt: Demonstration vom 21. Januar 2015 in Leipzig | Pressemitteilung der Universität Leipzig. Die Diskrepanz zwischen den dabei ermittelten 4.000-5.000 Teilnehmern und den offiziellen Angaben von 15.000 Teilnehmern ist so groß, dass sie kaum mit unterschiedlichen Zähl- oder Schätzmethoden erklärbar ist.

Es gibt ein Foto der Kundgebung (weitere Fotoquelle, ein Foto mit höherer Auflösung, ein weiteres hochauflösendes Foto), mit dem die Anzahl der Teilnehmer selbst abgeschätzt werden kann.
Wie lässt sich die Teilnehmerzahl mit Hilfe der Fotos abschätzen?

  • Auszählen und Hochrechnen
    Man druckt das Foto vergrößert aus und sucht sich einen Bereich aus, in dem die Teilnehmer nicht sehr locker, aber auch nicht extrem eng stehen und versucht, einen Pulk von 150 nebeneinanderstehenden Personen zu zählen bzw. abzuschätzen. Dadurch hat man einen Eindruck, wie groß etwa ein Pulk von 150 Personen ist. Wenn man den so ausgezählten Pulk von Personen verzehnfacht, dann hat man 1.500 Personen. Um auf 15.000 Personen zu kommen, müsste der bereits verzehnfachte Pulk noch einmal verzehnfacht werden. Man kann natürlich auch detaillierter zählen, aber für eine Abschätzung, bei der es zunächst um die grobe Größenordnung und darum geht, ob es eher 5.000 oder eher 15.000 Teilnehmer sind, genügt diese Hochrechnung.
  • Rasterung und Zählung
    Spiegel online, 23.01.2015: "Legida in Leipzig: Die Mär von den 15.000 Teilnehmern"
  • Flächenmethode
    Die Dimensionen des Platzes vor der Leipziger Oper und die Breite des Operngebäudes lassen sich aus Stadtplänen oder einem Kartendienst im Internet näherungsweise ermitteln. Bei einer nicht extrem dicht stehenden Menschenmenge kann man von drei bis vier Personen pro Quadratmeter ausgehen, wobei vier Personen pro Quadratmeter sehr eng stehen. Man schätzt die von den Teilnehmern belegte Fläche in Quadratmetern, z. B. 2.500 Quadratmeter, multipliziert mit 3 Personen pro Quadratmeter und erhält dann z. B. 2.500 [Quadratmeter] ⋅ 3 [Personen/Quadratmeter] = 7.500 [Personen].

e) Dresdner Pegida-Demonstration am 25. Januar 2015

  • MDR.de, 26.01.2015: 17.300 Teilnehmer bei Pegida-Sonntagstreff. "Die Polizei sprach nach Abschluss der Veranstaltung von 17.300 Teilnehmern. Pegida erklärte dagegen, es seien 20.000 bis 25.000 Menschen auf den Theaterplatz gekommen." (Am 25.01.2015 hieß es im gleichen Artikel: "Die Polizei sprach nach Abschluss der Veranstaltung von 17.300 Teilnehmern. Ein Pegida-Organisationsmitglied erklärte dagegen, es seien mehr als 25.000 Menschen auf den Theaterplatz gekommen.")
  • In vielen Medienberichten wird ein erheblicher Rückgang der Teilnehmerzahlen berichtet, z. B. Pegida: Fast 8000 blieben daheim. Allerdings beziehen sich diese Berichte auf die umstrittene Zahl von 25.000 Teilnehmern am 12. Januar 2015.

d) Leipziger Legida-Kundgebung am 30. Januar 2015

2. Eigene Schätzungen von Teilnehmerzahlen

Die eigenen Schätzungen von Teilnehmerzahlen erfolgten mit Hilfe der Flächenmethode, die im dritten Abschnitt ausführlicher erläutert ist. Jeder ist eingeladen, diese Schätzungen selbst durchzuführen. Vor allem ist es wünschenswert, dass unabhängige Journalisten eigene Schätzungen abgeben, statt sich auf Angaben der Polizei oder der Veranstalter zu verlassen.

a) Dresdner-Pegida-Demonstration am 22. Dezember 2014

Die von offizieller Seite angegebene Teilnehmerzahl von 17.500 würde eine dichte Besetzung des Theaterplatzes zwischen der Semperoper und den umgebenden Straßen voraussetzen. Mir wurde allerdings von einer eher lockeren Besetzung nur eines Teiles des Platzes berichtet, was mit 17.500 Personen eher nicht verträglich ist.

b) Kundgebung für Weltoffenheit in Dresden am 10. Januar 2015

  • Eigene Schätzungen mit Hilfe der Flächenmethode ergeben, dass die Teilnehmerzahl mit 35.000 von offizieller Seite mindestens doppelt so groß angegeben wurde, wie sie tatsächlich war.
    • Bei einer Teilnehmerzahl von 35.000 und einer Dichte von 3,5 Teilnehmern pro Quadratmeter ergibt sich eine besetzte Fläche von 10.000 Quadratmetern. Dies entspricht z. B. einer quadratischen Fläche von 100 Metern Seitenlänge oder einer Kreisfläche mit einem Durchmesser von 112,84 Metern.
    • Bei einer Teilnehmerzahl von 35.000 und einer Dichte von 2,4 Teilnehmern pro Quadratmeter ergibt sich eine besetzte Fläche von 14.583 Quadratmetern. Dies entspricht z. B. einer quadratischen Fläche von 120,76 Metern Seitenlänge oder einer Kreisfläche mit einem Durchmesser von 136,26 Metern.
    • Tatsächlich verteilten sich die Teilnehmer auf einer Fläche zwischen der Frauenkirche und dem Bauzaun von etwa 6.800 Quadratmetern. Wenn sich auf dieser Fläche von 6.800 Quadratmetern 35.000 Personen befänden, dann ergäbe sich die unrealistische Zahl von 5,15 Personen pro Quadratmeter.
    • Mit einer realistischen Zahl von 2,4 Teilnehmern pro Quadratmeter kommt man zu einer geschätzten Teilnehmerzahl von 16.320 Personen (natürlich ohne alle diejenigen, die im Laufe der Veranstaltung nur für eine halbe oder ganze Stunde vorbeigeschaut haben).
  • Zum Konzert "Offen und bunt - Dresden für alle" am 26. Januar 2015 heißt es in einem Pressebericht: "spielten sie vier Stunden lang auf dem völlig überfüllten Platz zu Füßen der Frauenkirche; nach Polizeiangaben nahmen 22.000 Menschen daran teil". Bei dieser Veranstaltung war der Platz dichter gefüllt als bei der Veranstaltung am 10. Januar 2015. Falls die Angabe von 22.000 Personen für den 26. Januar 2015 auch nur ungefähr richtig ist, bestätigt dies auf andere Art den fiktiven Charakter der Zahl von 35.000 Teilnehmern für den 10. Januar 2015.

c) Leipziger Legida-Demonstration am 21. Januar 2015

Eigene Schätzungen mit Hilfe der Flächenmethode ergaben, dass die Teilnehmerzahl von offizieller Seite mit 15.000 mindestens doppelt so groß angegeben wurde, wie sie tatsächlich war.

d) Dresdner-Pegida-Demonstration am 25. Januar 2015

Die durch die Polizei angegebene Teilnehmerzahl von 17.300 könnte realistisch sein. Fotos zeigen eine relativ gleichmäßige Füllung des inneren Teils des Theaterplatzes. Für den inneren Teil des Thaterplatzes ergibt sich mit Hilfe der Flächenmethode die Abschätzung 7.000 [Quadratmeter] ⋅ 2,4 [Personen pro Quadratmeter] = 16.800 Personen. Weitere Teilnehmer befanden sich auf dem sich in Richtung Italienisches Dörfchen anschließenden Teil des Theaterplatzes.

3. Flächenmethode (Methode von Jacobs)

Die Flächenmethode ist besonders zur Schätzung der Teilnehmerzahl einer Kundgebung geeignet. Sie kann aber genutzt werden, um die Teilnehmerzahl von Abschnitten einer Demonstration zu schätzen, wenn sich der untersuchte Abschnitt eines Demonstrationzugs mit gleichmäßiger Breite auf einem längeren geraden Straßenstück befindet.

a) Geschätzte Teilnehmerzahl

Eine grobe Schätzung der Teilnehmerzahl ist nach folgender Formel möglich:

Fläche in Quadratmetern ⋅ Dichtequotient [Personen pro Quadratmeter] = Anzahl der Personen.

Zum Beispiel ergibt sich bei einer Fläche von 2.500 Quadratmetern und einem Dichtequotienten von 3:

2.500 [Quadratmeter] ⋅ 3 [Personen pro Quadratmeter] = 7.500 [Personen].

b) Geschätzte Fläche zur Plausibilitätskontrolle

Eine Überprüfung der Plausibilität angegebener Teilnehmerzahlen ist möglich, indem man aus der angegebenen Teilnehmerzahl und einem Dichtequotienten die von den Teilnehmern besetzte Fläche abschätzt:

Anzahl der Personen / Dichtequotient [Personen pro Quadratmeter] = Fläche in Quadratmetern

Zum Beispiel ergibt sich bei einer Teilnehmerzahl von 7.500 Personen und einem Dichtequotienten von 3:

7.500 [Personen] / 3 [Personen pro Quadratmeter] = 2.500 [Quadratmeter].

c) Dichtequotienten

  • Der Dichtequotient gibt die durchschnittliche Anzahl von Personen pro Quadratmeter an.
  • Wer sich unter einem Dichtequotienten von 2,4 Personen pro Quadratmeter nichts vorstellen kann, der denke sich ein möbelfreies Zimmer von 10 Quadratmetern Fläche, in dem sich 24 Personen befinden, ein Zimmer von 15 Quadratmetern Fläche, indem sich 36 Personen befinden, oder ein Zimmer von 20 Quadratmetern Fläche, in dem sich 48 Personen befinden. In allen drei Fällen ergibt sich ein Dichtequotient von 2,4 Personen pro Quadratmeter.
    Analog bedeutet ein Dichtequotient von 3 Personen pro Quadratmeter, dass sich 30 Personen auf einer Fläche von 10 Quadratmetern, 45 Personen auf einer Fläche von 15 Quadratmetern und 60 Personen auf einer Fläche von 20 Quadratmetern befinden.
  • Nützlich sind auch die Jacobs-Dichtequotienten:
    • Lockere Aufstellung (ungefähr eine Armlänge Abstand zwischen den Versammelten): 10 square feet pro Person, dies enspricht 1,08 Personen pro Quadratmeter.
    • Enge Aufstellung: 4,5 square feet pro Person, dies enspricht 2,39 Personen pro Quadratmeter.
    • Dicht gedrängte Menschenmenge: 2,5 square feet pro Person, dies enspricht 4,31 Personen pro Quadratmeter.
    Hinweis: 1 foot = 0,3048 Meter; 1 square foot = 0,0929 Quadratmeter; zur Umrechnung: "x square feet pro Person" sind "x ⋅ 0,0929 Quadratmeter pro Person" und entsprechen damit "1/(x ⋅ 0,0929) Personen pro Quadratmeter".

d) Geschätzte Flächen von Kundgebungsplätzen in Dresden und Leipzig

  • Theaterplatz in Dresden:
    Der innere Teil des Theaterplatzes in Dresden (der Teil vor der Semperoper, begrenzt durch die Semperoper und die ersten begrenzenden Straßen) ist etwa 7.000 Quadratmeter groß (abgeschätzt durch ein Rechteck mit der Breite von 70 Metern und der Länge von 100 Metern). Der sich in Richtung Italienisches Dörfchen anschließende Teil umfasst noch einmal etwa 3.500 Quadratmeter.
  • Neumarkt in Dresden:
    Der Teil des Neumarkts in Dresden, der für die Veranstaltungen am 10. und 26. Januar 2015 zwischen Baustelle und Frauenkirche zur Verfügung stand, lässt sich durch die Fläche eines Trapezes mit einer Grundseite von 110 Metern Länge entlang des Bauzauns und einer Höhe von 85 Metern senkrecht zur Grundseite (in Richtung Frauenkirche) und einer zur Grundseite parallelen Seite von 50 Metern Länge abschätzen. Dies entspricht einer Fläche von 6.800 Quadratmetern.
  • Augustusplatz in Leipzig:
    Der Augustusplatz in Leipzig - genauer der Teil zwischen Straße und Oper - hat drei konzentrische, durch Pflasterung markierte Kreise.
    • Der äußere Kreis hat einen Durchmesser von 66 Metern und umgrenzt damit eine Fläche von 3.421 Quadratmetern.
    • Der mittlere Kreis hat einen Durchmesser von 56 Metern und umgrenzt damit eine Fläche von 2.463 Quadratmetern.
    • Der innere Kreis hat einen Durchmesser von 36 Metern und umgrenzt damit eine Fläche von 1.018 Quadratmetern.
    Der Platz zwischen Oper und Straße insgesamt lässt sich durch ein Rechteck mit den Seitenlängen von 75 und 85 Metern, also mit einer Flächen von 6.375 Quadratmetern abschätzen.

e) Flächenberechnung geometrischer Figuren

  • Quadrat
    • Ein Quadrat mit 50 Metern Seitenlänge hat eine Fläche von 50 ⋅ 50 = 2.500 Quadratmetern.
    • Allgemein: Ein Quadrat mit x Metern Seitenlänge hat eine Fläche von xx = x2 Quadratmetern.
  • Kreis
    • Ein Kreis mit 50 Metern Durchmesser hat eine Fläche von 25 ⋅ 25 ⋅ 3,1416 = 1.963 Quadratmetern. Dabei ist 3,1416 die auf vier Nachkommastellen gerundete Kreiszahl π (Pi).
    • Allgemein: Ein Kreis mit x Metern Durchmesser hat einen Radius von r = x/2 Metern und eine Fläche von r2 ⋅ π Quadratmetern.
  • Rechteck
    • Ein Rechteck mit Seitenlängen 40 und 60 Metern hat eine Fläche von 40 ⋅ 60 = 2.400 Quadratmetern.
    • Allgemein: Ein Rechteck mit den beiden Seitenlängen von a und b Metern hat eine Fläche von ab Quadratmetern.
  • Dreieck
    • Ein Dreieck mit einer Grundseite von 110 Metern Länge und einer Höhe von 100 Metern (senkrecht zur Grundseite gemessen) hat eine Fläche von (110 ⋅ 100)/2 = 5.500 Quadratmetern.
    • Allgemein: Ein Dreieck mit einer Grundseite von a Metern und einer Höhe von h Metern (senkrecht zur Grundseite gemessen) hat eine Fläche von (ah)/2 Quadratmetern.
  • Trapez
    • Ein Trapez mit zwei parallelen Seiten von 50 und 110 Metern Länge und einer Höhe von 85 Metern (senkrecht zu den parallelen Seiten gemessen) hat eine Fläche von ((50 + 110)/2) ⋅ 85 = 6.800 Quadratmetern.
    • Allgemein: Ein Trapez mit zwei parallelen Seiten von a und b Metern und einer Höhe von h Metern (senkrecht den parallelen Seiten gemessen) hat eine Fläche von ((a + b)/2) ⋅ h Quadratmetern.

4. Weitere Informationen

  • Kölner Stadtanzeiger 18.01.2015: Teilnehmerzahlen bei Anti-Islam-Demos in Dresden Hier findet man die Berechnungsgrundlage des Pegida-Bündnisses: "Bei den Schätzungen werde die Fläche ausgemessen, auf der die Demonstranten stehen, und dann mit maximal 2,4 Menschen pro Quadratmeter multipliziert."
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© Stefan Huschens